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11. August 2023

Ich glaub' mir kein Wort.
Sich selbst infrage stellen: Gesund oder gestört?

Menschen brauchen ein möglichst widerspruchsfreies Selbstverständnis, einen roten Faden in ihrem Leben. Verhalten, Bedürfnisse, Werte, alles soll möglichst stimmig ineinandergreifen. Konsistenz ist damit gemeint, die Widerspruchsfreiheit des Verhaltens. Viele meinen damit auch ein "authentisches Verhalten", das typisch für uns ist, das uns kalkulierbar macht. Aber:

Können wir uns eigentlich selbst trauen? Wenn wir Dinge sehen, die es real gar nicht gibt (viele optische Täuschungen machen das eindrücklich deutlich): Ist auch unser Denken dann vielleicht viel öfter eine kognitive Verzerrung als wir vermuten? Dann wäre auch unser Entscheiden und Handeln davon betroffen, mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. "Objektiv" betrachtet müssten wir dann eingestehen, dass wir alles derart biegen, formen und verzerren, dass es für uns stimmig wird, also widerspruchsfrei.
 




Wie misstrauisch sollten wir also uns selbst gegenüber sein? Ist das kein Angriff auf unser Selbstvertrauen, einer wesentlichen Voraussetzung für Aktivität und Selbstwirksamkeit? Die Konfrontation mit unserer Selbsttäuschung kann uns enorm herausfordern:

Im Rahmen meiner NLP-Ausbildung hatte ich vor vielen Jahren mehrere Interviews mit Probanden geführt. Darunter war ein Verkaufsleiter, der sich bereit erklärte sein Interview zu transkribieren (also aufzunehmen und wörtlich mitzuschreiben). Ich wollte im Rahmen meiner Abschlussarbeit Sprachbilder, Verallgemeinerungen und Tilgungen identifizieren und dadurch Sprach-Muster erfahrbar machen. Soweit, so gut. Nachdem ich dem Herren das Transkript vorlegte griff er mich erbost an: "Was für eine Unverschämtheit! Das habe ich nie so gesagt, das werden Sie auf keinen Fall verwenden!" Ich habe das Interview dann tatsächlich nicht verwendet, aber dem Gesprächspartner den Audio-Mitschnitt zugesendet. Ich habe nie mehr etwas von ihm gehört. Wir sollten uns öfter selber beim Sprechen zuhören, um solch drastische Überraschungen zu vermeiden oder zumindest nicht ganz so überrascht zu sein. 

Die Fähigkeit, eigene Ansichten infrage zu stellen, an sich zu zweifeln, ohne in Selbstwert-Zweifel zu verfallen, nennt man Lernen. Wir suchen nicht nach der Bestätigung unseres Wissens (womit wir lediglich den Status-Quo erhalten würden), sondern nach Lücken und Widersprüchen. Wir folgen damit dem wissenschaftlichen Ansatz: Alles bleibt erst einmal eine Hypothese, solange sie nicht bestätigt wird oder verworfen werden muss.  Auch unser Denken ist vor allem Hypothesenarbeit und Wahrscheinlichkeitsrechnung. Auch, wenn wir unsere Wahrnehmung und Folgerung für wahr, objektiv und richtig halten. 

Denken lernen, Denkirrtümer zu identifizieren und andere Denkrichtungen einschlagen zu können sollte Schulfach werden. Unser Gehirn ist das anspruchsvollste Organ, aber auch das anfälligste für Fehler. Gelegentliche Denk-Inspektionen, z.B. auch in Form von Coachings oder Supervisionen, können Verzerrungen entgegenwirken, auch wenn sie kein Allheilmittel sind. Doch Achtung:

Zu viele Selbstzweifel und Grübeleien können uns massiv blockieren, sogar kränken und in die Krankheit treiben. Depressionen können eine Folge von stetigen Selbstzweifeln sein, aber auch Stresssymptome oder Angsterkrankungen. Wer das Gefühl hat, sich in einem Grübel-Kreislauf zu bewegen, der sollte externen Rat suchen, anstatt weiter über das eigene Denken nachzudenken. 

Wer sich intensiver mit dem Thema auseinandersetzen will, dem sei der Titel empfohlen "Denken hilft zwar, nützt aber nichts" von Dan Ariely. 
Sie werden erstaunt sein, wie oft wir Dinge mit völliger Überzeugung tun, die aber völlig idiotisch sind.