schließen

Alle Blogbeiträge & mehr: Jetzt meinen Newsletter abonnieren und bereits beim Lesen querdenken! Jeder neue Abonnent erhält die dreiteilige Email-Serie zum Thema "Stört mich - Mach weiter! Persönlichkeit entwickeln"

27. September 2021

Ich hab' zwar keine Ahnung, aber eine Meinung


Wie wir uns regelmäßig selbst überschätzen
 

Die politischen Debatten der letzten Wochen haben es mal wieder deutlich gemacht: Die Meinungen der Leute gehen deutlich über ihre Ahnungen hinaus. Worüber auch immer gesprochen wurde: Die Meinung war schon vor der Klarheit da. Es bedarf keiner Parteivorsitzenden für diese Erkenntnis. Auch im Freundes- und Bekanntenkreis, selbst bei politischen Laien, vertreten die Leute mit der wenigsten Ahnung die lauteste Meinung. Warum ist das so? 

Es könnte eine einfache Erklärung dafür geben: Je weniger ich zu einem Thema weiß, desto überzeugter muss ich mit Halbwissen glänzen. Ganz in diesem Sinne arbeiten auch die Boulevard-Medien: Komplexität reduzieren - einfache Wenn-Dann-Zusammenhänge herstellen - Meinung bilden. Ein Werbespruch bringt es auf den Punkt: "BILD dir deine Meinung."

Womöglich ist diese Erklärung allein nicht ausreichend, um die starke Verbreitung der Meinung zu Lasten der Ahnung zu erklären. Hat das unmittelbar mit unserem Selbstwert zu tun, wenn wir mit unserer Meinung einen Standpunkt beziehen? Wahrscheinlich ja, denn mit unserer Meinung stehen wir in der Regel nicht alleine da. Wir gehören zu einer Gruppe "Meiner", das schafft Zugehörigkeit und Bindung. Um dieses Bedürfnis zu erfüllen sind wir sogar bereit, unsere eigene Überzeugung über den Haufen zu werfen. In mehreren (mathematischen) Experimenten wurde nachgewiesen, dass wir uns der Gruppenmeinung anschließen, selbst wenn diese eindeutig falsch ist und wir es besser wissen. Selbstzweifel und die Angst alleine dazu stehen, den Anschluss zu verlieren, machen aus der Meinung eine Deinung. Wir übernehmen fremde Überzeugungen. Das stabilisiert unseren Selbstwert, wenn wir im Inneren unsicher sind. 

Wie labil unsere Ahnung ist, lässt sich an kleinen Experimenten gut erfassen:
Sitzen Sie gelegentlich auf einem Fahrrad? Ich hoffe! Dann haben Sie bestimmt auch eine Ahnung davon, wie ein Fahrrad funktioniert. Wie ist das mit dem Antrieb? Zeichnen Sie doch mal ein Rad. Ihre Vorlage sollte so exakt sein, dass die Konstruktion dieses Rads tatsächlich fahrtauglich wäre. Fangen Sie jetzt an zu zeichnen. (Pause)

Und? Einfach? Sieht Ihr Rad vielleicht so aus? 


Wenn Sie bei dieser kleinen Übung bereits ins Schleudern gekommen sind, halte ich gleich ein weiteres Experiment für Sie bereit:
Erklären Sie sich doch mal selbst, wie eine Klospülung funktioniert. Diese großen Wasserkästen, die wir im Rücken haben, wenn wir auf dem Thron sitzen. Wie klappt das mit dem Drücker, Schwimmer, Zulauf, Ablauf....? (Pause)

Womöglich gibt es einige unter Ihnen, die tatsächlich eine beeindruckende Ahnung von Fahrrädern und Klospülungen haben. Herzlichen Glückwunsch. Ihre Meinung ist mir wichtig! Für alle anderen (auch für mich) gilt: Wir sollten bescheiden sein beim radikalen Vertreten unserer Meinung, wenn wir nicht mal Fahrräder und Klospülungen erklären können. Menschliches Zusammenleben ist wesentlich komplexer als Kettenantriebe und Wasserläufe.