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06. September 2024

Meine Intoleranz-Unverträglichkeit....

Warum Toleranz als Maßstab ungeeignet ist.

„Ich habe da eine Intoleranz-Unverträglichkeit“ äußert sich mein Klient in Bezug auf unterschiedliche Meinungen zum Führungsverständnis. Tatsächlich ist die Frage „Wieviel (In-)Toleranz können wir als Gemeinschaft verkraften?“ eine hoch politische. Wir sehen die Auseinandersetzungen dazu gerade im Alltag: Sollte man Intoleranz mit Intoleranz begegnen? Kann man Waffen nur mit Waffen beantworten? Ist Freiheit nur mit mehr Sicherheit zu haben?
 
In Coaching und Therapie ist die Arbeit an solchen Spannungsverhältnissen hoch interessant. Ihr liegen Werteklärungen zugrunde. Relativ eindeutig sind gegensätzliche Werte wie Sicherheit und Freiheit, Nähe und Distanz, Dauerhaftigkeit und Flexibilität. Viele werden diese Polaritäten zum Beispiel mit dem Werte- und Entwicklungsquadrat in ein Modell bringen. Ich spreche hier gerne von einer dynamischen Balance, bei der, je nach Situation und Kontext, mal mehr die eine oder andere Seite stärker betont wird. Das Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Wertekräfte wird auch in Trainings zur Ambiguitätstoleranz zum Thema gemacht.





Wesentlich uneindeutiger ist das Verhältnis von Intoleranz zur Toleranz. Denn der Spruch meines Klienten ist ein Paradox: Wer intolerant ist zur Intoleranz führt Gleiches im Schilde. Anders ausgedrückt: Wer Toleranz leben will müsste es aushalten, mit Intoleranz konfrontiert zu werden.  Nun könnte man antworten: Nun ja, es gibt eben Intoleranz und Intoleranz. Eine ablehnende, intolerante Haltung gegenüber Veganern oder Falschparkern ist womöglich eine andere Qualität als Intoleranz gegenüber religiösen oder kulturellen Minderheiten. Aber: Ist es das? Gibt es schlechte und weniger schlechte Intoleranz? Dann müsste es auch gute und weniger gute Toleranz geben, oder?  Dann wäre die weniger gute Toleranz doch die, welche „extreme“ Überzeugungen duldet. Schwierig ist es auch, weil Toleranz für viele Menschen absolut positiv, die Intoleranz hingegen uneingeschränkt negativ belegt sind.

Tatsächlich ist Toleranz ein moralischer, kein juristischer Begriff. In keinem Gesetzt taucht die Toleranz auf, selbst nicht in unserem Grundgesetz. Der Begriff ist viel zu schwammig, um ihn als eindeutig hilfreich zu deklarieren. Was „intolerant“ ist wird juristisch darin begründet, was gegen ein Gesetzt verstößt. Und genau das greift auch im Coaching: Gegen welche innere Gesetzmäßigkeit verstößt etwas? Welche Werte sollen durch (In-)Toleranz im Kern geschützt werden, und in welchem Spannungsverhältnis stehen diese Werte dann? Gibt es hier nur ein „entweder-oder“ oder ein „sowohl-als-auch“? Toleranz kommt aus dem Lateinischen („tolerare“) und bedeutet soviel wie „tragen, ertragen, erdulden“. Müssen wir also zwangläufig eine Schraube fester anziehen, während wir die andere lösen? Wer eine Toleranzdebatte lostritt, der erhebt sich womöglich über andere, denn er schafft dadurch ein Ungleichgewicht in der Selbstverständlichkeit. Wie (in-)tolerant sind wir zu uns selbst, unseren Fehlern, Irrtümern, Überzeugungen? Coaching kann dabei unterstützen, den individuellen Werteregler mal mehr in die eine, mal mehr auf die andere Seite zu schieben. Daran orientiert kann ich mein Denken und Verhalten ausrichten. Ob ich mich entscheide, tolerant oder intolerant zu sein liegt im Ermessen eines jeden Einzelnen. Ob das dann im Einklang steht mit dem Gesetz wird sich zeigen. Vor dem Gesetzt sind alle gleich: Null Toleranz. Zur Vertiefung empfehle ich Ihnen den sehr lesenswerten Artikel aus „The European“ unter dem Link https://www.theeuropean.de/politik/das-falsche-verstaendnis-von-der-toleranz