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15. Januar 2025
Der Chef ist schuld.
Verlassen unzufriedene Mitarbeiter wirklich immer den Vorgesetzten?
„Wenn Mitarbeiter ein Unternehmen verlassen, sind es die Vorgesetzten schuld.“ Die Aussage ist weit verbreitet. Leider wird sie damit nicht wahrer. Im Gegenteil: Die Irritationen, die damit bei den Führungskräften entstehen, erschweren die Zusammenarbeit erheblich. In einer Gallup-Studie* (dem Gallup Engagement Index) von 2022 heißt es: „Nur ein Viertel der Beschäftigten ist mit der direkten Führungskraft rundum zufrieden.“ Rundum? Wie bitte soll das gehen?
Führungskräfte von heute sollen „eierlegende Wollmilchsäue“ sein: Durchsetzungsstark und kompromissfähig, maximal empathisch aber nicht hypersensibel, charismatisch, selbstkritisch, Leader, Coaches, Moderatoren, agil, zielführend, kritisch und fehlerfreundlich, inspirierend, realistisch, motivierend…. Die Liste lässt sich ewig fortsetzen. Außerdem sollen sie maximal auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingehen. Remote arbeiten? Kein Problem! Teilzeit? Kein Problem! Mehr Geld? Kein Problem! Hund im Büro? Kein Problem! Sabbatical für ein Jahr? Kein Problem! Nur nette Kolleg*innen? Kein Problem! Die Führungskräfte kümmern sich um alles, damit es bloß keinen Grund zur Kündigung gibt. Schließlich soll der Job heute „all inclusive“ liefern.
Aber Jobs sind keine „Rundum-Sorglos-Pakete“. Führungskräfte haben permanent für einen Interessensausgleich zu sorgen und sind kein verlängerter Arm des Betriebsrates. Die Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu berücksichtigen sollten sie „bestmöglich“ tun – und dann, falls nötig, eine Grenze ziehen, wo andere, höhere Werte oder dringendere Bedürfnisse berührt sind. Natürlich ist die Führungskraft in diesen Momenten nicht „everybodys Darling“. Sie muss aber nicht zwangsläufig zum Deppen werden, nur weil einzelne Mitarbeitende mit Entscheidungen ein Problem haben. Eine wesentliche Aufgabe von Führung ist dafür zu sorgen, dass die Abhängigkeit von einzelnen Mitarbeiter*innen nicht zu hoch wird. Es liegt im Wesen des Unternehmens eine gute, partnerschaftliche, auf Dauer angelegte Zusammenarbeit zu ermöglichen, aber nicht in eine Abhängigkeit zu rutschen. Betriebe müssen den Ersatz einkalkulieren.
Oft ist es ein Glück, wenn unzufriedene Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Viele von ihnen verhalten sich „infektiös“. Sie stecken mit ihrer schlechten Laune und ständiger Nörgelei andere Beschäftigte an. Dann kann die Trennung eine gute Exit-Strategie sein. Sich vom Problem zu lösen kann eben auch bedeuten, sich von unzufriedenen Mitarbeitern zu lösen. Das Offboarding-Gespräch kann nämlich völlig andere Beweggründe an die Oberfläche bringen als die Unzufriedenheit mit dem direkten Vorgesetzten. Im Idealfall geschieht diese Klärung schon früher. Tatsächlich sind Trennungen auch in Zeiten des Arbeitskräftemangels manchmal unausweichlich. Die Kosten, die ein unzufriedener Mitarbeiter verursachen kann, übersteigen oft die Kosten einer vorübergehend unbesetzten Stelle.
An die Seite der Führungskompetenz gehört die Geführt-Werden-Kompetenz. Mitarbeitende geben einen Teil ihrer Autonomie ab, können in der Organisation nicht machen was sie wollen. Es gibt formelle und informelle Regeln, die das Zusammenarbeiten ermöglichen. Nicht jede*r will sich mit diesen Regeln arrangieren. Auch die kollegiale Beziehungsarbeit ist nicht jedermanns Sache. Die soziale Kompetenz beschränkt sich nicht nur auf Führungskräfte, sondern ist ein gesamt-gesellschaftlicher Auftrag. Gerade bei der Sozialkompetenz beobachte ich immer mehr Einäugige: Was mir bei Anderen ins Auge fällt bemerke ich an mir selber nicht. Klar, der Chef ist ja auch schuld.
Den Chef für die Arbeitszufriedenheit verantwortlich zu machen enthebt den Einzelnen aus seiner Selbstverantwortung. Zufriedenheit am Arbeitsplatz wird aus vielen Quellen gespeist – Unzufriedenheit auch. Oft wird auf den direkten Vorgesetzten viel projiziert, weil er oder sie doch zuständig ist für die guten Arbeitsbedingungen. Aber Führungskräfte sind weder Zauberer noch allmächtig. Oft verstehen sie sogar die Nöte und Bedürfnisse der unzufriedenen Mitarbeitenden, können aber trotzdem nichts ändern. Die „direkten Führungskräfte“ sind meistens im unteren und mittleren Management aktiv und stehen damit im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen von zu Führenden und Führern, zuzüglich ihrer eigener Interessen.
Natürlich kommt es vor, dass Mitarbeitende als Grund ihrer Kündigung den direkten Vorgesetzten nennen. Überforderung, fehlende Passung ans Team, Wertekonflikte oder Kritik durch die Führungskraft werden als tatsächliche Gründe für eine Trennung sicher weniger oft genannt. Ein Feindbild oder eine Schuldsprechung scheinen dann ein galanterer Ausstieg. Nochmal in aller Deutlichkeit: Natürlich gibt es Pfeifen in der Führung. Natürlich kann die Führungskraft ein Grund zur Kündigung sein. Wir sollten sie aber nicht in ihrer Bedeutung überhöhen. Es gibt auch andere Gründe.
Mir scheint es hilfreich zu sein, Führungskräfte an die Möglichkeiten und Grenzen der Mitarbeiterbindung zu erinnern. Es gibt sicher immer wieder etwas am Führungsverhalten zu verbessern – bei einigen weniger, bei anderen mehr. Gleichzeitig sollten wir Führungskräfte ermutigen, kongruent zu handeln und Entscheidungen zu treffen, manchmal auch gegen den Wunsch einzelner Mitarbeiter*innen. Empowerment der Führungskräfte, Zuspruch und Anerkennung der Führungsleistung haben gerade keine Konjunktur. Umso wichtiger finde ich es als Coach, die Vorgesetzten (wieder) in die Kraft der Führung zu bringen.