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27. März 2025

Ent-Wertung ist besser als ihr Ruf.

Denn durch sie wird eine Neubewertung möglich
 

„Hören Sie doch auf andere Leute zu entwerten!“ hörte ich neulich eine erzürnte Dame hinter einem jungen Mann herrufen. Offenbar hatte er jemanden beleidigt, vielleicht diskriminiert. Für die meisten Menschen mag Entwertung gleichzusetzen sein mit abwertenden Äußerungen. Bei genauem Hinsehen stellen wir aber fest: Ent-Wertung ist eben nicht Ab-Wertung, sondern eine wertungsfreie Kommunikation. Wir entziehen den Dingen (oder Personen) die Bewertung. Der Wert „an sich“, also der Selbstwert, liegt außerhalb äußerer Wertzuschreibungen: „Ich bin wertvoll, egal, wie du mich bewertest“ könnte man sagen.
 
Für die Alltagskommunikation mag das kleinkariert klingen. Wir nehmen es mit der Abgrenzung von bewerten, entwerten und abwerten nicht so genau. Schließlich treffen wir unsere Entscheidungen ständig auf der Basis dessen, was uns wichtig, richtig oder weniger wertvoll erscheint. Das ent-wertete, bewertungsfreie Sprechen ist hingegen eine echte Herausforderung und alles andere als gewöhnlich. Vor allem, wenn es um das Klären von Differenzen oder Konflikten geht. Probieren Sie es am besten gleich mal aus. Beschreiben Sie zwei Minuten lang alles in Ihrer Umgebung ohne zu bewerten. (Gerne auch Personen, die Ihnen gerade über den Weg laufen). Gehen Sie davon aus, dass Bewertungen sogar dann Einzug in unsere Sprache halten, wenn wir sie ausdrücklich vermeiden wollen. So selbstverständlich ist uns das Urteilen, dass wir auch dort Werte „hinzuwerfen“, wo neutrales Beschreiben hilfreich wäre. „Adjektive“ nennen wir diese Zuschreibungen: schön, hoch, eng, gut, weit, langsam… Sie durchziehen unsere Sprache wie Löcher den Schweizer Käse. Und obwohl sie ohne ihren Kontext nichts aussagen würden (wie das Loch im Käse, das ohne den Kontext gar nicht da wäre), haben sie eine extreme Bedeutung für die Gesamtaussage. Hinzu kommen Adverben (niemals, ständig, oft) und unkonkrete Pronomen (alle, niemand, viele), die rauf und runter werten und sich schnell in angeblich „neutrale“ Aussagen einschleichen. Bewertungen sind das Salz in der Suppe. Sie machen meine Haltung hinter der reinen Beschreibung erkennbar. Damit sind Bewertungen immer Selbstoffenbarungen. Sie sollen Menschen oder Dinge charakterisieren und sagen doch so viel mehr über uns selbst und unsere inneren Maßstäbe und Wertvorstellungen aus. „Verraten Sie mir mehr über Ihre Werte!“ hätte die Dame auch hinter dem jungen Mann herrufen können.





Im Coaching hat die Wertearbeit eine besondere Relevanz. Werte sind eine Art inneres Navigationssystem. Sie manövrieren uns durch die Vielfalt des Alltags und helfen uns dabei, durch Bewertungen die Orientierung zu behalten. Bewertungen sind immer eine Form der Vereinfachung. Sie reduzieren Komplexität und schaffen Überblick. Das vermittelt uns zumindest den Eindruck von Kontrollierbarkeit und Handlungsfähigkeit. Hinzu kommt: Wertegemeinschaften schaffen Zugehörigkeit. Wer die Dinge so bewertet wie ich, wer mir ähnlich ist, der steht mir näher. Gemeinsame Werte verbinden, sind sozialer Kleber. Meine Klienten lade ich gerne dazu ein, vorübergehend ihre Narrationen zu ent-werten, also von Werten zu befreien. Sie steigen dann in die Position eines völlig neutralen, beschreibenden Beobachters. Nicht nur, dass diese Übung eine echte Herausforderung aus den alten Wertungsmuster ist. Die Nüchternheit der Sprache schafft eine innere Distanz zur sonst üblichen emotionalen Werteaufladung. Zugegeben: Die Texte klingen zeitweise wie bestes Juristen- oder Beamtendeutsch. Völlig blutleer und gefühlskalt. Andererseits: Die reine, nackte Beschreibung dessen was ist ermöglicht eine Umsortierung und Neu-Bewertung, ein Re-Framing. Dafür ist eine vorübergehende Ent-Wertung bestens geeignet.  


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