Sie brauchen keinen Knick in der Optik. Auch müssen Sie nicht permanent neben sich stehen oder sich gar auf den Kopf stellen. Die Perspektive zu wechseln erfordert keine Kunststücke oder körperlichen Eingriffe. Und trotzdem: Im entscheidenden Moment eine andere, neue Perspektive einzunehmen scheint doch eine Herausforderung zu sein.
Dafür müssen wir uns klar machen: Die Einnahme einer neuen Perspektive ist eine aktive Handlung. Die findet, in den meisten Fällen zumindest, zwar "nur" im Kopf statt. Aber gerade in unserem Denkstübchen sitzt ein mächtiger Wächter des Alten und Vertrauten. Die Perspektive räumlich zu verändern ist hingegen relativ einfach. Und gleichzeitig ein sehr probates Mittel, um die Denkperspektive zu verändern. Probieren Sie es aus: "Verrücken" Sie sich, wenn Sie das nächste Mal bei einem Gedanken nicht weiterkommen oder "auf der Leitung stehen". Dann hilft es, einen Schritt zur Seite zu treten. Dieses aktive Um-Denken erfordert Energie. Da gesellt sich der Wirtschaftsminister in unserem Kopf zum Wächter des Alten und Vertrauten. Beide haben massive Einwände gegen eine neue Perspektive. Sie pochen darauf, dass alles so bleibt wie es ist, und lassen sich gute Argumente einfallen die alte, eigene Perspektive zu verteidigen.
"Jeder Mensch ist Mittelpunkt seines Universums."
Thomas Berger
Was folgt daraus?
Eine Form der Ego-Zentrik: Wir halten uns für den Mittelpunkt unseres Universums. Wir erschaffen uns im Kopf kein Weltbild, sondern ein subjektives Bild von der Welt. Dabei ist die Fähigkeit des Perspektivwechsels eine Fähigkeit, die bei keinem Lebewesen so stark ausgeprägt ist wie beim Menschen. Wäre es uns in der Vergangenheit nicht möglich gewesen, das Denken, Fühlen und Handeln unserer Mitmenschen so gut nachzuempfinden, gäbe es uns längst nicht mehr. Die Fähigkeit des Perspektivwechsels ist ein Selektionsvorteil. Wir können differenzieren und antizipieren.
Die Dinge von einem anderen Standpunkt aus zu betrachten bringt eine Menge Vorteile:
- Wir trainieren unsere Empathiefähigkeit.
- Wir schaffen Resonanz, eine Voraussetzung für lebende, soziale Systeme.
- Wir erleben, dass es mehr als eine Wahrnehmung gibt und schulen unsere Kompetenz, mit Mehrdeutigkeiten umzugehen.
- Wir fördern unsere Autonomie, die Abgrenzungsfähigkeit und Andersartigkeit voraussetzt.
- Wir betonen das Verbindende, die Anknüpfungspunkte.
Es lohnt sich immer mal wieder die Perspektive zu erweitern. Trainieren Sie Ihren Chamäleon-Blick. Die haben mit beiden Augen ein Blickfeld von 342 Grad und dadurch einen extrem kleinen toten Winkel. Vielleicht fangen Sie mit einer kleinen Körperübung an. Ich mache sie gerne mit meinen Klienten: Legen Sie sich mit dem Rücken flach auf den Boden. Starren Sie einfach in den Himmel oder starren Sie Löcher in die Decke. Blicken Sie nach links und rechts und nehmen Sie Ihre Umgebung vom Untergrund wahr. Was entdecken Sie von dort neu? Was erscheint anders, größer, kleiner, heller, dunkler.... (Was, Sie müssten mal wieder die Decke streichen? Wie hilfreich so ein Perspektivwechsel sein kann!)